»Der Glaube, durch Liebe den Partner verändern zu können,
ist groß«
Frau Benecke, in Pop-Songs und Filmen werden schmerzliche Liebesbeziehungen häufig als die „wahre Liebe“ dargestellt. Idealisieren wir Beziehungsdramen?
Ja. Ob „Shades of Grey“, „Die Schöne und das Biest“ oder viele andere Filme und Romane – es ist immer dieselbe Storyline. Da ist eine fast immer männliche Person, die dominant, bindungsunfähig und egozentrisch ist, und eine sehr selbstunsichere, junge weibliche Person. In dem Märchen „Die Schöne und das Biest“ will sie durch ihr Bleiben ihren Vater retten, bei „Shades of Grey“ verliebt sie sich. Die weiblichen Figuren merken sehr wohl, dass der Mann Eigenschaften hat, die eigentlich eine gesunde Beziehungsführung unmöglich machen. Sie sehen die egozentrischen Seiten, die Abwertung und Kontrolle, die eine Beziehung auf Augenhöhe verhindern. Und trotzdem sind diese Frauen zunächst mal nicht in der Lage, sich aus der Beziehung zu lösen, weil der männliche Part eine starke Dominanz ausübt. Bei „Die Schöne und das Biest“ durch die räumliche Nähe, das kann man als Stockholm-Syndrom verstehen.
Bei „Shades of Grey“ wird sie durch die emotionale Manipulation gehalten. In beiden Fällen kommt es zu heftigen emotionalen Verletzungen durch den männlichen Part. Doch die Frauen leiden tapfer und sind trotz allem nett und liebevoll, sodass der männliche Protagonist, ohne es zu wollen, gesundet. Seine Persönlichkeitsstörung oder sogar Störungskombination wird durch die jungfräuliche, aufopfernde, leidensfähige Liebe geheilt. Das ist die denkbar schlechteste Botschaft, die man Menschen mitgeben kann. Ich habe im Laufe meiner Arbeit mit genug Menschen gesprochen habe, die in toxischen Beziehungen feststeckten. Es ist genau diese ungesunde Hoffnung auf „Heilung” des anderen, die sie darin festgehalten hat. Der Glaube, durch Liebe den Partner verändern zu können, ist groß. Und er wird durch solche fiktiven Darstellungen noch verstärkt. So nach dem Motto: „Im Film geht es gut aus. Warum nicht auch bei mir?“ Man muss diesem Menschen im echten Leben aber sagen: „Gar nichts wird gut. Trennung ist das Allerbeste für alle Beteiligten."
Das ganze Interview mit Lydia Benecke finden Sie in unserem Buch:
Zur Person
Lydia Benecke, (Jg. 1982), ist Diplom-Psychologin mit Arbeitsschwerpunkt Gewalt- und Sexualstraftaten. Sie arbeitet in einer Ambulanz für Sexualstraftäter sowie einer Sozialtherapeutischen Anstalt. Sie ist selbstständig als Fortbilderin, Referentin und kriminalpsychologische Beraterin tätig. Seit 2015 ist sie Mitglied des Wissenschaftsrates der "Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften“. Zudem hält sie regelmäßig Vorträge für interessierte Laien und schreibt Kriminalpsychologische Bücher. Auf den Rücken hat Benecke sich einen Drachen und einen Engel stechen lassen. Das Motiv symbolisiere einen Grundsatz ihrer Arbeit, sagt sie – und zitiert Solschenizyn: „Die Trennlinie zwischen Gut und Böse verläuft mitten durch das Herz eines jeden menschlichen Wesens”, www.lydiabenecke.de
“Psychopathinnen: Die Psychologie des weiblichen Bösen” (Bastei Lübbe)
Gewalt ist männlich. Frauen hingegen gelten als verzeihend und leidensfähig. Doch auch Frauen können psychopathische Züge entwickeln - und ihre Mitmenschen körperlich und emotional missbrauchen. Lydia Benecke analysiert in diesem Buch unaufgeregt die Fallgeschichten von Täterinnen vor dem Hintergrund neuester Forschungsergebnisse und zeigt, dass Psychopathinnen sich bei ihrem Tun häufig gängige Rollenklischees zunutze machen.